Mittwoch, 4. Oktober 2017

Was für ein Tag! - Die Mitteldistanz Nordseewoman in Wilhelmshaven.






Nach meiner etwas unglücklichen Begegnung mit einem Auto im April dieses Jahres, schien meine Triathlon Saison 2017 beendet, bevor sie begonnen hatte.
Physio war gefordert, Schwimmen erlaubt, Aquajoggen und Radfahren auf dem Ergometer auch, aber Laufen?
Kein Arzt wollte sich da verbindlich äußern. Also Abwarten und Tee trinken, bzw. so viel Alternativtraining wie möglich.
Bei jeder Nachsorge Untersuchung stellte ich dieselbe Frage - darf ich Laufen?
Im Juni dann plötzlich die überraschende Antwort – Laufen ja, wenn auch erst nur auf dem Laufband oder der Bahn und seeeehr vorsichtig.  
Aber immerhin Laufen!
Jetzt wollte ich wenigstens noch eine Mitteldistanz finishen, möglichst spät im Jahr, um noch so viel Laufform aufzubauen als irgend möglich und eher flach um meine armen Wirbel so gut als möglich zu schonen.
Schnell fiel meine Wahl auf den Nordseeman / Nordseewomen in Wilhelmshaven am 13. August.
Dort bin ich vor zwei Jahren meine erste Mitteldistanz überhaupt gestartet.
Der Wettkampf ist liebevoll organisiert und die Strecke nicht zu anspruchsvoll.
Natürlich ging es eigentlich nur ums heil und gesund  Ankommen.  
Aber eine Verbesserung zu 2015 sollte natürlich möglichst schon drin sein. 
Hatte ich mich doch tapfer Stunden um Stunden und Bahnen um Bahnen im Schwimmbad abgemüht!
Das Radtraining lief auch super, nur beim Laufen hatte ich so überhaupt keine Einschätzung.
Trotzdem fing ich klammheimlich an, von einer Zeit unter 5 Stunden zu träumen.
Das war eins meiner Ziele für 2017 gewesen und auch ohne Unfall,  bei meiner bisherigen Bestzeit von 05:23 h, schon eher etwas überambitioniert. 

Aber ich wollte ein Ziel, Hopp oder Flop, wie auch immer, einfach nur ankommen war bestimmt vernünftig, aber leider auch so überhaupt nicht sexy.

Also vor, während und nach jedem Lauftraining mit meinem Körper diskutiert. 
Wieviel geht, wie schnell, wie oft? 
Wie fühlt sich der Rücken an? Wie, der rechte Fuß tut weh, wieso das denn jetzt? Und der Erguss im Knie ist auch noch nicht weg? Und ja, ich laufe morgen nicht, aber dafür übermorgen Intervalle, ok?
Insgesamt wohl so ziemlich ok, denn am Tag X stehe ich fröstelnd (wie immer!), aufgeregt (wie immer!) und voller Selbstzweifel (auch wie immer!) in der Wechselzone,  also einfach total glücklich.
Das Gewusel um mich herum, die völlig durchnässte Wiese, die Panik wieder irgendetwas vergessen zu haben  - herrlich.
Nach dem Reinzwängen in den Neo (bin ich wirklich so viel fetter geworden?), kurz einschwimmen und dann kommt auch schon das Startsignal. 
Zumindest  wahrscheinlich kam das Startsignal, denn ich habe das irgendwie nicht gehört. Aber wenn alle los schwimmen, schwimme ich halt auch – fängt ja schon mal super an!
Die Schwimmstrecke in Wilhelmshaven ist für eine so eher nicht so tolle Schwimmerin wie mich ideal.
Eine Wendestrecke in einem Kanal mit Brackwasser, immer geradeaus und im Neo ploppt man hoch wie ein Korken aus einer Sektlasche. 
Was mir nach den ersten paar hundert Metern auffällt, sind die Schwimmerinnen um mich herum. 
Es mag überraschen, dass mich in einem Triathlon die Anwesenheit anderer Schwimmer überrascht, aber das war beileibe nicht immer so.
Nicht das ich im letzten Jahr ständig als Letzte aus dem Wasser kam, aber ich hatte normalerweise immer jede Menge Platz um mich herum.  Nun also geradezu MASSEN!  
Entweder waren die heute besonders langsam oder ich tatsächlich ein klitzekleinesbisschen schneller.
Endlich konnte ich mal diese tollen Ratschläge befolgen wie „an die Füße des Vordermannes anhängen, eventuell kurzen Sprint zum Nächsten einlegen usw!“
Mein persönliches Highlight war jedoch, das mich erst ein paar Meter vor dem Ausstieg das Gros der Badekappen aus der nachfolgenden Startgruppe  überholte – das kam auch schon mal eher.
Dann raus aus dem Wasser, raus aus dem Neo, und - Hurra! - Rad gefunden ohne erstmal durch die Wechselzone zu irren. 
Edge an, Startnummer an, Helm an – ich bin ein Roboter!
Raus aus der Zone, rauf aufs Rad, in die Schuhe, Gas geben.
Alles flutscht trotz über einem Jahr Wettkampfabstinenz.
Auf dem Rad erstmal Status abfragen - sitzt alles, alles da, wie fühle ich mich?
Erst mal fühle ich mich kalt.
Sooo warm ist es bei 15 °C im nassen Einteiler im Wettkampftempo nicht, aber nach ein paar hundert Metern bin ich trocken und konzentriere mich darauf meine vorher festgelegte Wattzahl zu halten.
Da heißt es zuerst mal Tempo drosseln.
Erste Runde, zweite Runde, ich habe zu keiner Zeit das Gefühl mich zu sehr anzustrengen, in der dritten Runde weiß ich, dass ich das durchbekomme.
In der vierten versuche ich die Trittfrequenz zu erhöhen, allmählich muss ich auch darauf achten die Watt zu halten, aber da ist es auch schon vorbei.
In der Wechselzone finde ich meinen Platz, Laufschuhe an, Softflask und Sonnenbrille geschnappt und los.
Normalerweise kommt jetzt mein Highlight, das Laufen, doch diesmal ist es mein größter Unsicherheitsfaktor. 
Ich habe keine Ahnung wo ich läuferisch stehe, habe seit März keinen Wettkampf bestritten, wie meine Laufform tatsächlich aussieht – keine Ahnung.
Mit einer Sub 5 zu finishen klingt toll und auch theoretisch total machbar.
In der Realität bedeutete das jedoch:
 - eine Schwimmpace von 2:00 min pro 100 Meter (was ich noch nie in irgendeinem
   Wettkampf egal welcher Länge geschwommen bin, aber man wächst ja mit seinen 
   Herausforderungen
 - einen Schnitt von 33 – 35 km/h auf dem Rad (auf 90 Kilometer natürlich auch noch nie
    erreicht, aber ich hatte ja meine neue Geheimwaffe, das Pearl – fuhr das nicht sozusagen
    von alleine?)
 - und schlussendlich einen Halbmarathon in höchstens  01:43 h, besser 01:40 h

Zieht man von dieser Zeit die 10% ab, die man im Triathlon als Faustregel länger braucht als in einem reinen Laufwettkampf, käme ich auf eine – hypothetische – Halbmarathon Wettkampfzeit von 01:30 h – 01:33 h.
Sehr witzig, im März war ich in Hannover in Höchstform eine persönliche Bestzeit von 01:31:30 h  gelaufen, davon war ich gefühlt so weit entfernt wie ein Igel von einem Hasen.
Trotzdem peilte ich unverdrossen eine Pace von 04:45 an, langsamer konnte ich ja immer noch werden.
Die Laufstrecke am Deich hat mir bei meiner ersten Teilnahme vor zwei Jahren am wenigsten gefallen.
Ein 5 Km Wendekurs, über den Deich und dann am Wasser entlang auf einem schmalen Weg. 
Der Wendepunkt höchstens einen Meter breit, der Deich in jeder Runde zweimal zu überqueren, gefühlt wuchs das Ding jede Runde um einige Meter.
Zu allem Überfluss war es 2015 auch recht warm, die Strecke natürlich komplett in der Sonne und da nicht abgesperrt, musste man sie auch noch mit Urlaubern, Hunden und sogar Fahrrädern teilen.

Diesmal ist es zwar auch sonnig, aber viel kühler, irgendwie sind die Urlauber dezenter, der Deich flacher, kurzum es läuft sich gut an.
Nach einem Kilometer – ich bin gerade das erste Mal über den Deich,  kommt mir eine Frau in einem gelben T-Shirt entgegen.
Ich bin völlig geschockt. Woher kommt diese Athletin mit einem Vorsprung von fast 4 Kilometern?  Im T-Shirt? Wie schnell will die denn geschwommen sein?
Etwas demoralisiert mache ich mich weiter auf die erste Runde.
Aber das Laufen macht Spaß. 
Ich genieße das Meer, die Zuschauer an der Strecke und vor allem das Strahlen und die aufmunternden Blicke meiner Mitstreiterinnen.
So viel gegenseitige Unterstützung und Motivation untereinander habe ich noch nie erlebt.
Es ist einfach eine Freude.
Auch in der zweiten Runde halte ich mein Tempo ganz gut, ich habe keinen Hunger, keinen Durst und der Deich entfaltet auch noch nicht seinen Schrecken.
Die dritte Runde wird schon schwerer. Ich hänge mich an einen Läufer vor mir und achte darauf ob andere Läuferinnen von hinten aufschließen.  
Bei der Wende zur vierten Runde sehe ich die Uhr am Zielbogen und versuche mit meinem doch inzwischen wohl recht schlecht durchbluteten Gehirn auszurechnen, wie viel Zeit mir für die letzten 5 Kilometer bleibt um mein Traumziel von der Sub 5 zu erreichen.
Ich meine 4 Stunden, 37 Minuten erkannt zu haben oder war es eine 34?
Bei einer Pace von 5:00 wären 5 Kilometer 25 min. Aber halt, da fehlen ja noch so 300 m. Wie schnell laufe ich denn gerade? Das wird nix. Nicht wenn die Uhr 04:37 anzeigte. Nicht wenn ich wirklich 5 min pro Kilometer brauche.
Jetzt fängt die innere Diskussion an.
Vor mir ist mindestens einen Kilometer keine Frau – hinter mir auch nicht. Es gibt also positionsmäßig keinen Grund mehr sich zu beeilen. 
Und die Beine sind müde, die Füße schmerzen, mein Rücken tut weh. 
Ich habe jetzt Hunger, aber noch mehr Durst. 
Lass es gut sein, die Zeit schaffst du eh nicht, ist doch toll das überhaupt alles so gut geklappt hat und so weiter und so weiter.
Ich gucke auf die Uhr, Pace 4:55 min/km. Schneller als ich befürchtet habe. Ein kleines bisschen Gas geben sollte doch drin sein? Ich ziehe etwas an und schließe wieder auf meinen „Hasenläufer“ vor mir auf.
Er guckt, ich so – "jetzt nicht langsamer werden!", er so – "ich versuch es ja!"
Der Arme muss noch eine weitere Runde, hält sich aber tapfer.
So mühen wir uns bis zu meiner letzten Wende, jetzt wird es wirklich hart, gefühlt hangle ich mich von Grashalm zu Grashalm. Das letzte Mal über den Deich, noch ein paar hundert Meter. Ich raffe meine letzten Reserven zusammen und laufe ins Ziel.
Ein Blick zur Uhr – 05:01:53 h.
Ich hatte es geahnt.
Dann aber, anscheinend kehrt inzwischen etwas mehr Blut in mein armes Gehirn zurück, dämmert es mir.
Ich bin ja gar nicht um 09:00 Uhr im ersten Startblock, sondern mit den anderen Frauen um 09:05 gestartet!
Ich rechne vorsichtshalber noch dreimal nach, aber bin mir sicher – meine Endzeit ist irgendwas mit 4 Stunden und 56 min. SUB FÜNF – ich freue mich dermaßen. 
So ein Glück nach diesem verheerenden Jahr.
Meine Hartnäckigkeit, so schnell und so viel wie möglich wieder zu trainieren, sicher auch meine Risikobereitschaft auf mich und meinen Körper und nicht nur auf die Ärzte zu hören und meine Freude an diesem Tag, haben sich unglaublich ausgezahlt.
Nach einer Weile weiter freuen und Melone und Kuchen essen, Bier und Wasser  trinken, fange ich mich ein bisschen an zu wundern, wo denn die nächsten Frauen bleiben. 
Auch gibt es beim Einlaufen keinen Moderator der uns Finisher begrüßt, er ist mit den Startansagen für die Jedermänner beschäftigt.
Ich entdecke eine Offizielle mit einem Klemmbrett in der Hand, die anscheinend  die eintreffenden Sportler notiert und frage sie, ob sie erkennen kann auf welcher Platzierung ich stehe.
Sie checkt meine Startnummer, guckt nochmal und gratuliert mir zum ersten Platz. 
Das kann nicht sein, ich erzähle ihr von der Frau im gelben Shirt. Staffel, meint sie nur – die ist Staffel.
Ich glaub ich träum.
Inzwischen ist auch die zweite Frau und nach ihr eine Freundin aus Hamburg als dritte im Ziel.
Ich erzähle ihnen von unserem Erfolg. Wir strahlen alle um die Wette.
Mein erster Start bei einem Triathlon dieses Jahr, meine erste sub Fünf, mein erster Gesamtsieg, ich bekomme das Grinsen gar nicht mehr aus meinem Gesicht.
Ein Interview für die Wilhelmshavener Zeitung – die Siegerehrung. Ich genieße jede Sekunde.


Was für ein perfekter Tag!


Zum Abschluss nochmal die nackten Zahlen:

Schwimmen: 1,9 km - 37:03 min - 02:57 min/100 m
Rad: 90,3 km - 02:34:55 h - 35 km/h - 3,18 W/kg
Laufen: 21,1 km - 01:39:44 h - 04:44 min/km


Weitere Fotos findet ihr HIER

Eine schöne Zusammenfassung in der Wilhelmshavener 
Zeitung HIER
Ein paar weitere Fotos HIER


So sehen strahlende Siegerinnen aus 😏









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